Insolvenzverfahren richtig verstehen: Rechte und Pflichten von Schuldnern
Wenn Insolvenzverfahren eingeleitet werden, stehen Schuldner oft vor einer der größten Herausforderungen ihres Lebens. Sie sind in der Regel nicht mehr in der Lage, ihren laufenden Forderungen nachzukommen. Das deutsche Insolvenzrecht unterscheidet grundlegend zwischen dem Verbraucherinsolvenzverfahren (oft als Privatinsolvenz bezeichnet) und dem Regelinsolvenzverfahren (für Unternehmen und Selbstständige). Insolvenzverfahren dienen einem doppelten Zweck: Einerseits sollen die Ansprüche der Gläubiger bestmöglich und geordnet befriedigt werden, andererseits bieten sie dem Schuldner Schutz vor drohenden Vollstreckungsmaßnahmen und eröffnen die Chance auf einen wirtschaftlichen Neuanfang, insbesondere durch die Restschuldbefreiung.
Was ist ein Insolvenzverfahren und wie läuft es ab?
Die Insolvenzordnung (InsO) bildet die detaillierte rechtliche Grundlage für sämtliche Insolvenzverfahren in Deutschland. Ein solches Verfahren wird eingeleitet, wenn ein Schuldner einen der drei Insolvenzgründe erfüllt: Zahlungsunfähigkeit (Unfähigkeit, fällige Zahlungen zu leisten), drohende Zahlungsunfähigkeit (Prognose, dass Zahlungen künftig nicht geleistet werden können) oder, bei juristischen Personen (wie einer GmbH), Überschuldung (Vermögen deckt die Verbindlichkeiten nicht mehr).
Während des Verfahrens wird das gesamte pfändbare Vermögen des Schuldners, die sogenannte „Insolvenzmasse“, erfasst und verwertet. Der daraus erzielte Erlös wird durch einen gerichtlich bestellten Insolvenzverwalter (oder bei Privatinsolvenzen oft als Treuhänder bezeichnet) nach einer festgelegten Quote unter den Gläubigern aufgeteilt. Der Verwalter übernimmt die Kontrolle über das Vermögen und prüft die angemeldeten Forderungen. Der genaue Ablauf von Insolvenzverfahren richtet sich stark danach, ob es sich um eine Regelinsolvenz oder eine Privatinsolvenz handelt.
Regelinsolvenz für Unternehmen (und Selbstständige):
Die Regelinsolvenz ist das Standardverfahren für Unternehmen (z.B. GmbH, AG) sowie für Selbstständige und Freiberufler (sofern sie nicht unter die vereinfachte Privatinsolvenz fallen).
- Eröffnungsverfahren: Nach Eingang des Insolvenzantrags (durch den Schuldner oder einen Gläubiger) prüft das Insolvenzgericht, ob ein Insolvenzgrund (Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung) vorliegt und ob die Verfahrenskosten (Gerichtskosten, Verwaltervergütung) gedeckt sind. Oft wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, um das Vermögen zu sichern.
- Insolvenzeröffnung: Liegen die Voraussetzungen vor, wird das Insolvenzverfahren offiziell eröffnet. Ab diesem Moment geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Schuldnervermögen, die Insolvenzmasse, vollständig auf den (nun endgültigen) Insolvenzverwalter über.
- Berichtstermin: In der ersten Gläubigerversammlung, dem Berichtstermin, legt der Insolvenzverwalter einen detaillierten Bericht über die finanzielle und wirtschaftliche Situation des Schuldners vor. Die Gläubigerversammlung entscheidet auf Basis dieses Berichts über das weitere Vorgehen: Stilllegung und Zerschlagung des Unternehmens oder Sanierung (z.B. durch einen Insolvenzplan oder eine übertragende Sanierung).
- Prüfungstermin: Parallel dazu müssen die Gläubiger ihre Forderungen schriftlich beim Insolvenzverwalter anmelden. Während des Prüfungstermins werden diese Forderungen geprüft. Erkennt der Verwalter (und kein anderer Gläubiger widerspricht) die Forderung an, wird sie in die Insolvenztabelle eingetragen. Strittige Forderungen müssen Gläubiger gesondert vor dem Prozessgericht einklagen.
- Verteilung (Schlussverteilung): Nach Verwertung der gesamten Insolvenzmasse erstellt der Insolvenzverwalter ein Verteilungsverzeichnis. Dies legt die sogenannte Insolvenzquote fest – den Prozentsatz, den jeder Gläubiger auf seine anerkannte Forderung erhält. Nach der Auszahlung (Abschlagszahlungen sind vorher möglich) und dem Schlusstermin wird das Verfahren formell aufgehoben.
Privatinsolvenz (Verbraucherinsolvenz)
Die Privatinsolvenz stellt ein vereinfachtes Verfahren für natürliche Personen (Verbraucher) dar, die keine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit ausüben (oder nur eine geringfügige). Das Hauptziel ist die Erlangung der Restschuldbefreiung, sodass Verbraucher innerhalb von drei Jahren komplett schuldenfrei werden können.
Ablauf von Verbraucherinsolvenzen:
- Außergerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren: Dieser Schritt ist zwingend vorgeschrieben. Bevor Verbraucher Insolvenz anmelden dürfen, muss der ernsthafte Versuch unternommen werden, sich mit allen Gläubigern außergerichtlich auf einen Schuldenbereinigungsplan zu einigen. Hierbei ist die Hilfe einer anerkannten Stelle (z.B. Schuldnerberatung oder Anwalt) erforderlich. Scheitert dieser Versuch (z.B. weil ein Gläubiger ablehnt oder die Zwangsvollstreckung betreibt), stellt die Beratungsstelle eine Bescheinigung über das Scheitern aus.
- Insolvenzantrag: Ein Insolvenzantrag kann erst gestellt werden, wenn die außergerichtliche Schuldenbereinigung nachweislich gescheitert ist (die Bescheinigung muss beiliegen). Mit dem Antrag muss der Schuldner auch den Antrag auf Restschuldbefreiung stellen.
- Gerichtlicher Einigungsversuch: Das Insolvenzgericht prüft nach Antragseingang oft nochmals, ob ein gerichtlicher Einigungsversuch auf Basis des vorgelegten Plans Erfolg verspricht. Dieser Schritt wird jedoch häufig übersprungen, wenn er aussichtslos erscheint.
- Insolvenzeröffnungsverfahren (Vereinfachtes Verfahren): Das Gericht prüft die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und die Deckung der Verfahrenskosten. Da Schuldner oft mittellos sind, kann eine Stundung der Verfahrenskosten beantragt werden (die Kosten werden dann erst nach der Restschuldbefreiung fällig oder aus der Masse bezahlt).
- Privatinsolvenz und Wohlverhaltensphase: Wird das Verfahren eröffnet, übernimmt ein Treuhänder (ähnlich dem Insolvenzverwalter) die Verwertung des vorhandenen pfändbaren Vermögens. Unmittelbar nach der Verwertung (oder parallel dazu) beginnt die dreijährige Wohlverhaltensphase. In dieser Zeit muss der Schuldner sein pfändbares Einkommen (gemäß der offiziellen Pfändungstabelle) an den Treuhänder abtreten, der es einmal jährlich an die Gläubiger verteilt.
Welche Rechte und Pflichten haben Schuldner während eines Insolvenzverfahrens?
Schuldnern kommt während des gesamten Insolvenzverfahrens, insbesondere aber in der Wohlverhaltensphase, eine umfassende Mitwirkungspflicht (Obliegenheit) zu. Die Einhaltung dieser Pflichten ist die Grundvoraussetzung für die spätere Restschuldbefreiung.
Die Pflichten (Obliegenheiten) im Überblick:
- Offenlegungspflicht: Der Schuldner muss sämtliche Einkünfte, alle Vermögenswerte (auch Schenkungen oder Erbschaften) und alle Verbindlichkeiten vollständig und korrekt angeben.
- Auskunftspflicht: Auf Verlangen des Gerichts oder des Verwalters müssen alle finanziellen Verhältnisse lückenlos nachgewiesen werden.
- Erwerbsobliegenheit: Der Schuldner muss eine angemessene Erwerbstätigkeit ausüben. Ist er arbeitslos, muss er sich nachweislich intensiv um eine zumutbare Stelle bemühen und darf keine zumutbare Arbeit ablehnen.
- Herausgabepflicht: Alle pfändbaren Vermögenswerte und Einkommensteile müssen an den Verwalter/Treuhänder übergeben bzw. abgetreten werden. Bei Erbschaften muss die Hälfte des Wertes herausgegeben werden.
- Änderungspflicht: Jeder Wohnsitzwechsel, Arbeitsplatzwechsel oder wesentliche Änderungen der finanziellen Verhältnisse (z.B. Gehaltserhöhung) müssen dem Gericht und dem Treuhänder unverzüglich mitgeteilt werden.
Trotz dieser Pflichten ist der Schuldner nicht rechtlos. Der Schuldner hat während des Verfahrens folgende wichtige Rechte:
- Recht auf Anhörung (§ 5 InsO): Vor wichtigen Entscheidungen muss der Schuldner angehört werden.
- Recht auf Information über den Verfahrensstand (§ 4 InsO): Der Schuldner kann Akteneinsicht beantragen oder Auskunft vom Verwalter verlangen.
- Anhörung zu Gläubigerversammlung, Berichtstermin, Schlusstermin und anderen relevanten Verfahrensschritten (§§ 156, 197 InsO).
- Recht auf den unpfändbaren Teil des Einkommens (Pfändungsfreibetrag), um das Existenzminimum zu sichern.
Wann ist die Restschuldbefreiung in Gefahr?
Das Hauptziel der meisten Schuldner (insbesondere in der Privatinsolvenz) ist die Restschuldbefreiung. Diese kann jedoch vom Gericht versagt werden, wenn der Schuldner seine Pflichten grob verletzt. Man spricht hier von Versagungsgründen.
Die Restschuldbefreiung ist insbesondere gefährdet, wenn der Schuldner:
- Seine Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt.
- Falsche oder unvollständige Angaben im Insolvenzantrag macht (z.B. Vermögen verschweigt).
- Seine Erwerbsobliegenheit in der Wohlverhaltensphase verletzt (also nicht arbeitet oder sich nicht ausreichend um Arbeit bemüht).
- In den letzten drei Jahren vor dem Insolvenzantrag Vermögen verschwendet oder unangemessene Verbindlichkeiten begründet hat (sogenannte „Insolvenzverschleppung“ im privaten Bereich).
- Wegen einer Insolvenzstraftat (z.B. Bankrott) rechtskräftig verurteilt wurde.
Ein Gläubiger muss einen solchen Versagungsgrund aktiv beim Insolvenzgericht beantragen und glaubhaft machen. Das Gericht entscheidet dann, ob der Verstoß schwerwiegend genug war, um den Neuanfang zu verwehren.
Wie lange dauert ein Insolvenzverfahren und welche Folgen hat es für die Zukunft?
Nach einer wichtigen Gesetzesänderung im Oktober 2020 wurden die Verfahren deutlich verkürzt. Insolvenzverfahren, die die Restschuldbefreiung zum Ziel haben, dauern nun für alle Schuldner (Unternehmer und Verbraucher) einheitlich nur noch drei Jahre (ab Verfahrenseröffnung). Hält sich der Schuldner an alle Obliegenheiten, wird die Restschuldbefreiung durch das Insolvenzgericht erteilt.
Wichtig: Von dieser Restschuldbefreiung sind bestimmte Forderungen explizit ausgenommen. Dazu zählen insbesondere Schulden aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen (z.B. Schmerzensgeld nach einer Körperverletzung, Kreditbetrug) sowie Geldstrafen, Bußgelder und in der Regel auch Steuerschulden, wenn der Schuldner wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde.
Nach Erteilung der Restschuldbefreiung tritt die Schuldenfreiheit für alle „normalen“ Insolvenzforderungen ein. Der Schuldner erhält seine volle wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit zurück und kann einen echten Neuanfang wagen.
Eine wesentliche Folge ist der Eintrag in der SCHUFA (und anderen Auskunfteien). Die Eröffnung der Insolvenz wird dort vermerkt. Nach aktueller Rechtsprechung (und Anpassung durch die SCHUFA) wird der Eintrag über die erteilte Restschuldbefreiung jedoch bereits nach sechs Monaten gelöscht (Stand 2024), was den Neuanfang erheblich erleichtert.
Sollte der Schuldner erneut in eine finanzielle Schieflage geraten, treten Sperrfristen ein. Eine erneute Restschuldbefreiung ist nach einem abgeschlossenen Verfahren frühestens nach elf Jahren möglich.
Quellen:
https://www.gesetze-im-internet.de/inso
https://www.justiz.nrw/BS/lebenslagen/arbeit-finanzen/insolvenzverfahren
https://www.schuldnerberatungen.org/insolvenzverfahren-ablauf
https://www.mtrlegal.com/wiki/insolvenzschuldner/https://instart.de/neustart/restschuldbefreiung
https://instart.de/neustart/restschuldbefreiung
(Bildquelle: Pixabay.com – CC0 Public Domain)